Liebeserklärungen an (m)einen alten Hund
Als ich Nerino aus dem italienischen Canile holte, war er ein schwarzer, halbgrosser, langhaariger, verfilzter, kotverdreckter Köter. Obwohl er mich schon drei Jahre kannte, brauchte ich immer mehr als 5 Minuten, um ihm das Geschirr für den kurzen möglichen Spaziergang anzulegen. Bei jeder Annäherung sprang er einen halben Meter zurück und kreiste aufgeregt in der Box. Wenn ich ihm aber den Rücken zuwandte, um einen seiner Box Kollegen anzuleinen, stieß er mich mit der Pfote von hinten an: „ich auch“. Keiner hat ihn je gewollt, scheu, ängstlich, unkommunikativ, ja, sie sagten sogar, er würde beissen und schwarze Hunde sind nicht sehr beliebt in Italien. Als sehr junger Hund kam er in den ersten Canile, dann in andere, und so wurden es 11 Jahre hinter Gittern, schlecht gefüttert, lieblos behandelt, auf kaltem, außer im Sommer immer nassen Zementboden, in der gleichen Box mit großen, dominierenden Rüden, vielleicht hie und da mal , wenn das Personal guter Laune war, 10 Minuten im Auslauf , rennen auf Gras. Erst mit der Ankunft einer Tierschutzvereinigung in diesem Canile wurde Nerino manchmal ausgeführt. An der Leine lief er schnell nebenher, Kopf gesenkt und Rute eingeklemmt, kaum dass er sich von einem Geruch ablenken ließ, aber immer in Erwartung eines Leckerlis aus der Tasche der Freiwilligen. Der große Lichtblick im Leben von Hunden im Canile. Alle Pflegeversuche mit der Bürste waren erfolglos, sie mündeten in einem wilden Tanz um die Box.
Zwei Jahre vorher hatte ich einen seiner Box-Genossen mitgenommen, ein Bretone, 12 jährig, der nach jahrelanger Jagdtätigkeit und unzähligen gerannten Kilometern vor Arthrose kaum noch gehen konnte. Tatsächlich meinte der Tierarzt, es sei theoretisch quasi unmöglich, mit diesen Gelenken zu laufen. Mit einem sorgfältig dosierten Rheumamittel konnte er dann aber noch zwei Jahre laufen, auf der Promenade am Meer entlang schnüffeln, im Garten graben, sich auf einem weichen Kissen im Winter beim Ofen aufwärmen und mich endlos mit seinem unwiderstehlichen Charme bezirzen. Nun war er tot, wie sie in Italien so poetisch sagen: „er rennt nun glücklich und frei auf dem Regenbogen“. Schön, aber für mich falsch. Sich mit Gerechtigkeit nach dem Tode zu trösten – die dann all die Ungerechtigkeiten ausgleichen soll, die wir Menschen den uns ausgelieferten Kreaturen zufügen- ist mir zu unverbindlich und auch zu gefährlich.
Nun war also wieder Platz in meiner Wohnung und in meinem Garten für einen, den keiner wollte. Selber alt, kam nur ein alter Hund in Frage, er sollte mich auf keinem Fall überleben und wieder in einem Canile landen. Einer, der das Leben ruhiger angeht, der kürzere Spaziergänge vorzieht, dem ich nicht so wichtig bin, das er mich bei jeder Gelegenheit bellend verteidigen muss, der weder Stühle noch Bücher annagt, der nicht auf meinen Teppich pinkelt, der später auch zufrieden ist mit der kleineren Wohnung, in die ich ziehen werde. Kurz, einer wie Nerino. Dass er komplett verschieden ist von meinem viel beweinten Carlos war gut, Nerino sollte einen eigenen, neuen Platz in meinem Herzen erhalten. Carlos bleibt.
Nun leben wir schon 1 ½ Jahre zusammen, Nerino und ich, wir sind aus Italien nach Deutschland umgezogen und haben uns angepasst. Na ja, Nerino ist immer noch ein unruhiger Hund, an der Leine dreht er öfters elegante Pirouetten um mich, mit Schirm und Handtasche stehe ich dann eingewickelt da und wünsche mir die vier oder acht Hände eines Shivas. Lässt es die Leine zu, kreuzt er von einer Seite auf die andere vor meinen Füssen. Ich gucke jetzt besser, wo ich meine Füße hinsetze. Geht es nach Hause, galoppiert er manchmal wie ein Vollblutpferdchen an der Leine, weil er in die Sicherheit seiner gewohnten Umgebung will. Überhaupt ist Nerino die verkörperte Eleganz, er geht elegant, er tänzelt an Ort, er legt sich eleganter hin als Marlene, er isst delikat wie eine wohlerzogene Lady, er nimmt einen Bissen aus der Schüssel, legt ihn daneben, beriecht ihn, beißt ein kleines Stück ab, kaut genüsslich. Was ich elegant nenne, nennt die Tieraerztin „Steifer Altersgang, beginnende Demenz, Zahnproblem“ Aber ich weiß es besser! Unterdessen weiß ich auch, dass unsere Zeit zusammen begrenzt sein wird, außer dem Katarakt in beiden Augen und der Arthrose in vielen Gelenken wächst auch still und heimlich der Lebertumor weiter. Ferienplanungen für dieses Jahr werden gekappt, Nerino kostet ganz schön, damit muss man absolut rechnen, wenn man sich einen alten Hund ins Haus nimmt. Muss er in eine Hundepension, ist er so gestresst, dass er mindestens zwei Tage nichts frisst, nicht gut, er ist ohnehin zu mager. Apropos Leine, Sie sollten sehen, wie er sich in der Stadt beträgt, da wird er zum wohlerzogensten Hund den ich kenne- er fürchtet sich wahrscheinlich in unbekannter Umgebung- er steht geduldig im Drogeriemarkt vor dem Deo-Regal, bis ich mich entschlossen habe, geht eng an mich gepresst zwei Schritte vor, stoppt, zwei Schritte vor, stoppt in der Warteschlange an der Kasse. Im Café legt er sich nieder und betrachtet interessiert das Geschehen auf der Straße. Besonders gerne schaut er Kindern zu. Würdevoll sind auch unsere Begegnungen mit anderen Hunden an der Leine. Während Große oder Kleine, Dackel oder Schäfer zähnefletschend, hechelnd, an der Leine zerrend den Angriff planen, gehen wir beide ruhig vorbei, Nerino mit einem einem Seitenblick oder kurzem, verächtlichen Schnauben, ich mit einem mitleidigen Lächeln. Unterdessen schnüffelt er auch interessiert am Straßenrand. Obwohl er ein unkastrierter Rüde ist, markiert er nicht, er liest die hinterlassenen Messages, hinterlässt aber selber keine, es scheint, dass wir beide uns auch über das Verhalten im sozialen Netzwerk einig sind. Nerino rennt immer noch sehr gerne, ich kann ihn aber nicht frei laufen lassen, er trabt los und weiter, immer weiter, wenn er dann endlich stoppt, kann er mich nicht mehr sehen, weil seine Sehkraft so schwach geworden ist und er findet nicht zurück. Aber an der Auszugleine kann er nun doch ein wenig rennen, dann bleibt er stehen und sieht sich um nach mir oder kommt zurück, ich bin sehr stolz auf diesen einen Erfolg meiner schwachen Erziehungsversuche. Ist keiner da, lasse ich ihn vor dem Haus oder in der Tiefgarage von der Leine, damit er das letzte Stück nach Hause frei rennen kann, das tut er in großen Sprüngen mit erhobener Rute, der ganze alte Hund Freude auf dem Weg zum Ort, wo er zuhause ist.
Habe ich schon gesagt, wie hübsch Nerino jetzt ist mit seinem glänzenden schwarzen Fell und der distinguierten grauen Schnauze? Wir bekommen dauernd Komplimente. Ach Nerino, wie schmerzlich wird es sein, wenn Du gehen musst, warum tue ich mir das an? Ganz einfach: wenn du Dich beim Aufwachen am Morgen auf den Rücken drehst, um dir von mir den Bauch kraulen zu lassen, dann denke ich an den Köter im Canile, und ich weiß ganz genau, warum ich es tue.